28
Dez
2006

virtualisierung von verantwortung

viele menschen nutzen die letzten dezembertage für einen rückblick. was hat das jahr gebracht? was war gut? was war schlecht? naja, so zeug halt. an verschiedenster stelle wurde dabei auch an politische ereignisse gedacht. so wurde die verschärfung von hartz iv beschlossen, ebenso die steigerung der krankenkassenbeiträge. außerdem dürfen nun in nrw private rechner vom staat geknackt werden. ach ja, und das bahn fahren wird teurer. mal wieder.

nach einem beitrag von unkreativ hab ich mich mal wieder gefragt, wie es sein kann, dass regelmäßig entscheidungen gefällt werden, die eigentlich so gar nicht mit dem gesunden menschenverstand zusammen passen? aktuell wird ja auch eine tiefe kluft zwischen politikern und bürgern beklagt.

gern wird darauf geantwortet, der kapitalismus sei schuld, die lobbyisten auch, und überhaupt seien die herrschenden durch und durch korrupt. das mag ja alles stimmen.

ich für meinen teil möchte in meiner grenzenlosen naivität gerne annehmen, dass die entscheidungsträger ihre entscheidungen in der regel nach bestem wissen und gewissen treffen. ich halte zwar von merkel und schäuble nicht viel, aber ich halte sie eben auch nicht für sonderlich korrupt. ich glaube, die glauben wirklich, was sie uns erzählen. ich glaube auch nicht, dass sie wirklich wollen, dass menschen ohne wohnung, heizung, job dastehen. trotzdem fällen sie entscheidungen, die genau das produzieren.

ein zentrales problem bei all dem sehe ich in einem phänomen, dass ich "virtualisierung von verantwortung" nennen will. was heißt das? kurz: es bedeutet, dass die entscheidungsträger von den konsequenzen ihrer entscheidungen immer mehr abgekoppelt werden.

wenn ich z.b. bei nieselregen und temperaturen knapp über null vier stunden im t-shirt auf einer parkbank sitze, dann darf ich die konsequenz dessen gern mit einer kräftigen erkältung ausbaden. ich trage also in diesem fall eine unmittelbare verantwortung.

anders sieht das hingegen bei den entscheidungsträgern in unserer gesellschaft aus. egal, ob politiker oder wirtschaftsboss - die konsequenzen der entscheidungen dürfen andere ausbaden. politiker können hartz iv verschärfen, denn sie werden nie in den genuss dieser leistung kommen. wie es ist, mit hartz iv zu leben, wird ihnen immer fremd bleiben. ebenso können politiker einer vermehrten überwachung der bürger zustimmen, denn sie sind davon ja ausgenommen. und wenn die krankenkassen teurer werden? was soll's. die paar euro kann man schon mal berappen. dass "die paar euro" für viele menschen ein haufen geld ist, liegt offenbar außerhalb der vorstellungswelt vieler abgeordneter.

kunden klagen auch gern über probleme mit der bahn oder diversen telephongesellschaften. können sie gerne tun. wenn sie sich dann aber bei den entscheidungsträgern darüber beschweren wollen, setzen ihnen bahn und telekom aber bloß ihre "service-nummern" vor die nase. rufen die kunden dort an, werden sie leider nie und nimmer einen entscheidungsträger erreichen. sie erreichen ein call center, wo ein unterbezahlter "call agent" in seinem rechner ein paar ausgewählte beschwerde-optionen anklicken kann und das war's. auch hier erleben wir ein beispiel der "virtualisierung von verantwortung".

ich denke, das problem vieler menschlich schäbiger entscheidungen ließe sich am ehesten beheben, wenn die entscheidungsträger in politik und gesellschaft wieder real verantwortlich würden. vielleicht steckt das träumerei mit drin, aber wenn so ein politiker die konsequenzen seiner entscheidungen mal am eigenen leibe erfahren müsste, würden dann nicht viele entscheidungen ganz anders getroffen werden?

hline

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neo-bazi - 29. Dez, 06:02

Wo bin ich denn hier gelandet? Ein Gutmensch, der Weihnachtsgeschichten verlinkt ... tsts

Manuel (Gast) - 29. Dez, 08:53

Interessanter Ansatz

Hi Darkrond,

gelunger Beitrag, rein philosophisch betrachtet. Ich möchte dir nur in einem Punkt widersprechen. Gesetz dem Fall Politiker wie Merkel und Schäuble (wobei ich zumindest erstere für nicht übermäßig korrupt halte) würden tatsächlich nach bestem Wissen und Gewissen handeln, so bin ich mir nicht sicher, ob die Entscheidungen nach einer Entvirtualisierung wirklich schnell anders aussehen würden.
ich denke, dass unsere ganze Politik unabhängig von der Partei oder der Regierung in unserem Finanz- und Wirtschaftssystem gefangen ist, dass kaum andere Entscheidungen zulässt. Wenn man jetzt zum Beispiel Aktiengewinne stärker besteuern würde um damit den Sozialstaat zu stärken, was ich für absolut sinnvoll halte, hätte dies ein Absinken der Aktienkurse zur Folge, verbunden mir der Gefahr, dass Unternehmen weit unter Wert aufgekauft und mit Gewinn zerschlagen würden, was wiederum zu mehr Arbeitslosigkeit führt- ergo lässt man es bleiben und streicht Sozialleistungen-nur ein Beispiel von Vielen.

Was mit einer Entvirtualisierung von Verantwortung tatsächlich erreicht werden könnte (und das wäre ein viel größerer Erfolg als die bloße Abschaffung der Hartz IV-Sklaverei) wäre eine Analyse und ein Nachdenken über Sinn und Zweck unseres Finanz- und Wirtschaftssystems. Wenn dem noch eine echte und ergebnissoffene Debatte und der Mut zu Veränderungen (den Mut könnte man mit dem von dir beschriebenen Leidensdruck vielleicht sogar erzeugen) hervorbringen würde, ergäbe dies eine sehr große Chance für die Menschen nicht nur in Deutschland.
Die große Koalition hätte die Macht dazu, tummelt sich aber lieber auf Nebenkriegsschauplätzen wie der Gesundheitsreform.

Wie gesagt, ist dies eine rein philosophische Diskusion, da dieser Fall niemals eintreten wird. Uns bleibt nur zu warten, dass der benötigte Leidensdruck irgendwann von "unten" erzeugt wird. Aber dafür geht es uns noch zu gut.

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