9
Mai
2006

ulrike ist tot

im fernen moskau paradieren heute tausende soldaten vor herrn putin den roten platz entlang, um den tag des sieges über nazideutschland zu feiern. (bei uns wird der tag der befreiung wegen der zeitverschiebung schon am achten mai gefeiert.) das sei den feiernden gegönnt. weiterhin jubelt das offizielle deutschland heute über den europa-tag, denn vor 56 jahren wurde die montan-union begründet, welche als keimzelle der europäischen union gilt. all dies sei den feiernden gegönnt. doch abseits dieses trubels jährt sich auch ein anderes ereignis, und zwar zum dreißigsten mal.

ulrike meinhofam 09. mai 1976 wurde ulrike meinhof in ihrer zelle im gefängnis stuttgart stammheim tot aufgefunden. der tod der laut erich fried "größten deutschen frau seit rosa luxemburg" löste damals riesige debatten aus. immerhin war sie das bekannteste gesicht der roten armee fraktion (raf). auch, wenn die offiziellen meinungsmacher bis heute auf selbstmord bestehen, bleiben zahlreiche fragen zu ihrem tod bis heute offen, die sich auf die ergebnisse des berichtes einer internationalen untersuchungs- kommission stützen. wie bei vielen prominenten toten gehen auch heute die spekulationen weit auseinander.

bereits vor ihrer zeit als terroristin hatte ulrike meinhof sich als journalistin eine namen gemacht mit beiträgen, die analytische schärfe und emotionale betroffenheit vereinigten und damit das öffentliche bewusstsein der damaligen zeit prägten. so stellte "literaturpapst" marcel reich-ranicki dar: "sie war die erste person in der bundesrepublik, nachdem wir aus polen 1958 nach westdeutschland gekommen waren, die nach meiner zeit im warschauer ghetto fragte. wir trafen uns damals im cafe funkeck in hamburg. am ende des interviews, das viel länger dauerte, als ursprünglich geplant, hatte ulrike meinhof tränen in den augen."

raf-logoihr 1970 produzierter film bambule über misstände in heimen, der sogenannten fürsorgeerziehung, sorgte für explosive debatten, obwohl er erst 1994 im dritten ausgestrahlt wurde. lange zeit wollte man einer bösen terroristin eben keine plattform bieten (im gegensatz zu heutigen berichten mit o-tönen von bush, bin laden und konsorten). vielleicht kann man heute, mit dem abstand der jahre, anders mit der terroristischen vergangenheit in deutschland umgehen, vielleicht einfach getreu dem satz des ehemaligen bundespräsidenten gustav heinemann: „mit allem, was sie getan hat, so unverständlich es war, hat sie uns gemeint.“

mein lesetip: mario krebs: ulrike meinhof. reinbek (rowohlt) 1990.

hline

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j. (Gast) - 11. Mai, 03:13

tick tack...

ja, vielleicht vielleicht kann man tatsächlich heute, mit dem abstand der jahre, anders mit der terroristischen vergangenheit in deutschland umgehen... vielleicht auch mit uns ulrike?

ich darf mal einen zusätzlichen lesetip:
Klaus Theweleit: Bemerkungen zum RAF-Gespenst, in: Ghosts. Drei leicht inkorrekte Vorträge, FfM/Basel: Stroemfeld/Roter Stern 1998.

dort kann man - neben einer ebenso kurzen wie hervorragenden analyse der entstehungsbedingungen der raf - auch einiges über "die meinhof" nachlesen, ihre radikalisierung von der politischen journalistin hin zur raf.

daraus - nicht speziell zu u.m., aber auch:

"Den selbstvollzogenen Eintritt ins gesellschaftliche Opferritual kann man bei der RAF ablesen an der rapiden Abnahme der analytischen Qualität ihrer Papiere. Gibt es am Anfang noch Rudimente eines analytischen Zugriffs auf Verhältnisse, findet man bald nur noch eine argumentative 'Entleerung'. Bei mir hat die Lektüre immer schneller an dem Punkt geendet, wo Sätze kamen von der Art wie: wer uns nicht unterstützt, unterstützt faktisch die bundesrepublikanische Justiz, Punkt. Da ihr die bundesrepublikanische Justiz unterstützt, seid ihr Schweine, Punkt, ihr seid eine Fraktion der Pigs... das fehlt niergends. Später erscheint die Formel, wer nicht denkt wie wir, hat 'unmaterialistische Scheiße im Hirn', auch in den Briefen der Gefangenen untereinander: 'der punkt ist, dass die situation täglich anders ist und du einfach unmaterialistische Scheiße im Hirn hast' - Ulrike Meinhof an Irene Georgens, 11.10.74.
Letztlich reduziert sich die 'Analyse' auf das Vorschreiben von Dingen, die der andere tun oder lassen soll. Welche Bereiche betritt man da: - wir sind beim Militär und in der Familie [...]. Dieser Komplex des 'Mama will es aber so', die Dressur der früheren oder späteren Kindheit, Schulzeit, kommt aus den Briefen der RAF-Gefangenen aus allen Poren herausgeströmt. Vorschriften, Anweisungen, Richtlinien, Vorwürfe, Appelle, Papa/Mama O-Ton, Befehle. 'Du musst lernen, was es heißt, einen Befehl zu empfangen und ihn zu befolgen.' (Ensslin) Die Eingesperrten landen damit exakt im Kern des deutschen Elternterrors, dem Kern des deutschen politischen Terrors im Einzelkörper - genau in dem, was man bekämpfen wollte. Dieser Elternterror, fortgesetzt und im Wechselspiel mit Lehrerterror, Offiziersterror, Blockwartsterror, Terror der Richter und Polizisten aller Sorten ist die soziale Materialität am Grund deutscher Körperlichkeit gewesen, das politische Horror-Syndrom selber, und nun, Vorschrift bis zur letzten Zeile, oder, wie sie auch sagen, bis zum letzten Atemzug."

und aus den knastbriefen, die die rafler in stammheim schrieben:

"ein grund der entpolitisierungsscheisse bei euch ist sicher, dass ihr die dimension nicht tickt, die der prozess seit 5 jahren hat [...] der bewaffnete kampf ist der operator des ganzen imperialistischen prozesses in der globalen defensive -
das muss man schon mal ticken -
also: sich erarbeiten + erkämpfen und immer, täglich, andauernd."
(ulrike meinhof, 7.10.75)

tick tack tick tack...

so geht das seitenweise in den knastbriefen...

es ist vielleicht nicht ganz fair, briefe aus dem knast zum massstab zu nehmen + daran eine beurteilung aufzuhängen (da extremsituation etc, und vielleicht besonders nicht bei ulrike meinhof, die innerhalb der raf nochmal ein besondere "fall" ist), aber nachdem ich theweleits aufsatz 98 gelesen hatte, habe ich mir die knastbriefe besorgt (auch weil ich nicht ganz glauben konnte, was theweleit da schreibt).
danach hat sich jedenfalls meine einstellung zum raf-komplex in mindestens 2 punkten geändert.
ich neige eher dazu, der selbstmord-these der 'offiziellen meinungsmacher' zuzustimmen - schon allein aufgrund des psychoterrors, den die rafler untereinander betrieben haben.
und ich würde - um es ganz kurz zu formulieren - die raf als als einen haufen totalitärer spinner sehen, von dem ich bitte nicht 'befreit' werden möchte.

ein letztes zitat (von theweleit):
"Für die RAF ergibt sich in etwa folgende Formel: Null Politik plus 100% Hyperradikalismus plus 100% abstrakte Moral"

darkrond - 11. Mai, 13:37

liebe macht blind

wer von der raf "befreit" werden wollte, hätte in der tat ein sehr seltsames verständnis von "freiheit". und ihre zeit bei der raf tat ulrike meinhof in meinen augen alles andere als gut, auch intellektuell. (der knast gab ihr dann den rest.) ist schon blöd, dass sie ausgerechnet auf andreas baader abfahren muss. (liebe macht blind.) dennoch schmälert das für mich nicht ihre leistungen, die sie vorher als journalistin gebracht hat.
j. (Gast) - 11. Mai, 17:57

eine frage der brille

schmälern wollte ich die auch nicht und das habe ich, denke ich, auch nicht.

ich fand nur deinen beitrag ein wenig positiv(istisch) einseitig - vor allem hinsichtlich der raf. und die gehört imho (leider) zu meinhofs biographie dazu und mir fällt es schwer, sie auszublenden. und ich weiß auch nicht, ob die gleichung "meinhof + baader = liebe macht blind bzw. zur terror-speech verführte intellektuelle" ganz aufgeht.

schön wär's: ulrike meinhof ohne baader/raf/stammheim, rosa luxemburg ohne freikorps/landwehrkanal...

„Die Kurzsichtigen sind verliebt. – Mitunter genügt schon eine stärkere Brille, um den Verliebten zu heilen; und wer die Kraft der Einbildung hätte, um ein Gesicht, eine Gestalt sich zwanzig Jahre älter vorzustellen, gienge vielleicht sehr ungestört durchs Leben.“
(Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister)
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